Wie könnten sich neue Ursprungsregeln auf den europäischen Automobilsektor auswirken?

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Warum haben einige der größten europäischen Automobilhersteller die EU und das Vereinigte Königreich aufgefordert, die Ursprungsregeln für den Handel neu zu verhandeln?


Die britische Automobilbranche warnt vor einer großen Bedrohung für die künftige Produktion im Land, sollte die Regierung nicht in der Lage sein, einen wichtigen Teil der Handelsvereinbarung mit der EU für die Zeit nach dem Brexit neu auszuhandeln.

Es droht eine Frist, nach deren Ablauf strengere Ursprungsregeln für die Einfuhr von Kfz über den Ärmelkanal gelten sollen. Falls keine Einigung erzielt wird, könnten erhebliche zusätzliche Zölle auf Fahrzeuge erhoben werden. Einige Kommentatoren sind sogar der Meinung, dass dies eine existenzielle Bedrohung für den britischen Automobilsektor darstellt, sollte keine Lösung gefunden werden.

Worum geht es also, was steht auf dem Spiel und wie könnten die Regierungen in Westminster und Brüssel zu einer Einigung kommen?

Was ist die Ursache für die Bedenken der Automobilhersteller?

Die Bedenken beziehen sich auf die Anforderungen an die Ursprungsregeln für Fahrzeugimporte aus dem Vereinigten Königreich in die EU und in die andere Richtung. Nach den Bestimmungen des Handels- und Kooperationsabkommens (TCA) für die Zeit nach dem Brexit müssen Autos, die in die EU eingeführt werden, zu mindestens 40 Prozent ihres Wertes aus Teilen bestehen, die entweder aus dem Vereinigten Königreich oder der EU stammen. Auf Fahrzeuge, die diese Schwelle nicht erreichen, werden Zölle von zehn Prozent erhoben.

Ab dem nächsten Jahr wird diese Schwelle jedoch auf 45 Prozent erhöht, bevor sie 2027 erneut angehoben wird. Zu diesem Zeitpunkt müssen die Akkus für Elektrofahrzeuge aus dem Vereinigten Königreich oder der EU stammen – und darauf ist die Branche noch nicht vorbereitet.

Derzeit werden viele im Vereinigten Königreich hergestellte Fahrzeuge die höhere Schwelle für die Einhaltung der Ursprungsregeln für Zollfreiheit nicht erreichen. Dies bedeutet zusätzliche Kosten für jedes Fahrzeug, das aus dem Vereinigten Königreich in die EU verschifft wird. Dies liegt vor allem daran, dass die Batterien für Elektrofahrzeuge immer noch größtenteils aus Asien bezogen werden, wobei China größter Lieferant für diese Komponenten ist.

Zwar besteht sowohl im Vereinigten Königreich als auch in der EU ein Mangel an Anlagen zur Produktion von Akkus für Elektrofahrzeuge, doch sind die Investitionen in neue Anlagen auf dem Kontinent weiter fortgeschritten, während Großbritannien hinterherhinkt. Es wird daher wohl noch einige Jahre dauern, bis der britische Automobilsektor über genügend inländische Kapazitäten zur Deckung der Nachfrage verfügt. 

Wie haben sich die großen Hersteller zum Thema geäußert?

Eines der ersten Unternehmen, die das Problem öffentlich ansprachen, war Stellantis, zu dessen Marken Vauxhall, Fiat, Peugeot und Chrysler gehören. Es hieß, die geplanten Änderungen würden zu einem erheblichen Kostenanstieg führen, der die künftige Rentabilität seiner Produktionsbetriebe gefährden könnte. Ein Sprecher sagte: „Sollten die Fertigungskosten für Elektrofahrzeuge in Großbritannien nicht mehr wettbewerbsfähig und nicht mehr tragbar sein, werden die Betriebe geschlossen.“

Kurze Zeit später schlossen sich auch andere große Hersteller mit Werken in Großbritannien, darunter Ford und Jaguar Land Rover, der Forderung nach Neuverhandlungen an.

In einer Erklärung drängte auch Ford darauf, von den neuen Anforderungen abzurücken: „Die Zölle werden sowohl britische als auch in der EU ansässige Hersteller treffen, daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass sich das Vereinigte Königreich und die EU an einen Tisch setzen, um eine Lösung zu finden ... Eine Verschärfung der Handelsregeln zum jetzigen Zeitpunkt stellt eine Gefahr für die Umstellung auf Elektrofahrzeuge durch die Zölle dar.“

Wie könnte das Problem gelöst werden?

Die Automobilhersteller haben eine Neuverhandlung des Handels- und Kooperationsabkommens gefordert, durch die Änderung der Ursprungsregeln bis 2027 verschoben werden soll. Sie sagen, diese Verzögerung gebe ihnen genügend Zeit zur Vorbereitung ihrer Lieferketten und um sicherzustellen, dass in der EU und im Vereinigten Königreich die notwendigen Kapazitäten zur Batterieherstellung vorhanden sind. Allerdings wird dies politische Anstrengungen auf beiden Seiten erfordern, um eine Einigung zu erzielen.

Während die unterkühlten Beziehungen zwischen Westminster und Brüssel dies in den letzten Jahren unwahrscheinlich erschienen ließen, hat sich die Atmosphäre in den letzten Monaten verbessert. So zeigt beispielsweise das Windsor-Rahmenabkommen, das den Handel zwischen Großbritannien und Nordirland regelt, dass zwischen den Parteien mehr Wohlwollen herrscht.

Auch der Druck seitens des Automobilsektors auf dem Kontinent hat deutlich gemacht, dass dieses Thema beide Seiten betrifft, nicht nur die britischen Importe in die EU, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Brüssel einer Einigung zustimmt. 

Zu denjenigen, die die Gesetzgeber zu einer Verschiebung der Änderungen drängen, gehört auch der VDA als wichtigster Lobbyverband der deutschen Industrie, der Marken wie BMW, Mercedes-Benz und VW vertritt. Er stellte klar, dass die geplanten neuen Zölle „einen erheblichen Wettbewerbsnachteil für die europäische Automobilindustrie gegenüber ihren asiatischen Konkurrenten auf dem so wichtigen britischen Markt“ bedeuten würden.

Der britische Premierminister Rishi Sunak erklärte gegenüber Bloomberg, man befinde sich in Gesprächen mit der der EU, um ein neues Abkommen zu schmieden: „Wir führen einen Dialog mit der EU darüber, wie wir diese Bedenken in Bezug auf die Automobilherstellung im Allgemeinen ausräumen können.“

Zwar hat es seit den ersten öffentlichen Warnungen von Stellantis nur wenige aktuelle Meldungen über Fortschritte gegeben, jedoch besteht weiterhin Optimismus, dass eine Einigung erzielt werden kann.