Was könnte ein Freihandelsabkommen zwischen Indien und Russland für den Welthandel bedeuten?

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Es heißt, die Gespräche zwischen Russland und Indien seien bereits fortgeschritten – was also könnte dies für die bilateralen und allgemeinen Handelsbeziehungen bedeuten?


Berichten zufolge befinden sich Russland und Indien in fortgeschrittenen Gesprächen zur Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens, das die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen zwei der größten Länder der Welt stärken soll. Beide Länder haben dies in den vergangenen Jahren zur Priorität erhoben.

Obwohl viele westliche Länder ihre Importe und Exporte mit Moskau seit dem Einmarsch in der Ukraine drastisch zurückgefahren haben, hat Indien eine neutralere Haltung eingenommen und ist daher im vergangenen Jahr zu einem wichtigen Ziel für russische Waren geworden.

Neu--Delhi ist auch sehr daran interessiert, seine eigenen Exporte in die andere Richtung zu steigern. Nun, da sich die beiden Seiten nun in „fortgeschrittenen Verhandlungen“ zur Unterzeichnung eines Abkommens befinden, stellt sich die Frage, welches die wichtigsten Triebkräfte hinter den Gesprächen sind, welche Produkte am ehesten von einem offeneren Handelsumfeld profitieren könnten und wie sich dies auf die weitergehenden Ambitionen beider Länder auswirken würde.

Was treibt den russisch-indischen Handel an?

In den letzten 12 Monaten haben die russischen Exporte nach Indien stark zugenommen, wobei sich laut Reuters der Wert dieser Waren im Vergleich zum Vorjahr auf 46,33 Milliarden Dollar vervierfacht hat. Der Großteil davon entfällt auf Öl. In einer Zeit, in der viele westliche Länder ihre eigenen Importe russischer Energie fast vollständig eingestellt und restriktive Preisobergrenzen für die verbleibenden Verkäufe festgelegt haben, stellt Moskau fest, dass Indien ein williger Abnehmer seiner Produkte geworden ist. 

Dies hat dazu beigetragen, dass beide Länder ihr Ziel eines bilateralen Handelsvolumens von 30 Milliarden Dollar schon drei Jahre früher erreicht haben, als es die indische Regierung geplant hatte.

Zuvor hatte Reuters berichtet, dass Moskau über 500 wichtige Produkte ermittelt hat, die es als Ersatz für die von den Sanktionen betroffenen Waren aus Indien importieren könnte. Dazu gehören Autos, Flugzeuge und Züge.

Der stellvertretende russische Premierminister Denis Manturow sagte kürzlich vor Publikum in Neu-Delhi: „Gemeinsam mit der Eurasischen Wirtschaftskommission freuen wir uns darauf, die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Indien zu intensivieren.“

Wie würde sich ein Freihandelsabkommen auf die Beziehungen auswirken?

Ein Thema, an dem Neu-Delhi sehr interessiert ist, ist das wachsende Ungleichgewicht im bilateralen Handel, das vor allem durch den erheblichen Anstieg der Ölimporte verursacht wird. Der indische Außenminister Dr. S. Jaishankar sagte dazu: „Es gibt verständliche Bedenken hinsichtlich der Schieflage im Handel und wir müssen mit unseren russischen Partnern zusammenarbeiten, um dieses Missverhältnis auszugleichen. Zur Beseitigung dieses Ungleichgewichts müssen vor allem die Hindernisse beseitigt werden – gleich ob es sich um Behinderungen beim Marktzugang oder um außertarifliche Handelsschranken handelt, oder ob sie mit Zahlungen oder logistischen Problemen zu tun haben.“

Zur Förderung der indischen Exporte kam in diesem Monat auch eine Handelsdelegation des Landes nach Russland, wobei der Schwerpunkt auf der Ankurbelung des Absatzes von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen lag. Der Leiter der Delegation, NK Kagliwal, erklärte, das Ziel sei, diese Exporte in den nächsten drei Jahren von ca. 750 Millionen Dollar auf über 3 Milliarden Dollar zu steigern.

Nach Auskunft der Delegation zählen zu den weiteren Bereichen, in denen Indien seine Exporte steigern möchte, Elektronik, medizinische Geräte, Solarzellen und Textilien. 

In der Zwischenzeit stellte Manturov auch fest, dass in Russland große Nachfrage nach Straßenbaumaterial und -ausrüstung, Chemikalien und pharmazeutischen Produkten besteht. Er sagte: „Ich bin sicher, dass sich daraus für indische Unternehmen Chancen ergeben, ihre Lieferungen nach Russland zu erhöhen.“

Was könnte dies für andere bilaterale Abkommen bedeuten?

Ein Freihandelsabkommen mit Russland würde einen bedeutenden Wandel in der Handelspolitik Indiens fortsetzen, die traditionell einen protektionistischen Ansatz verfolgt hat und gegenüber bilateralen oder multilateralen Abkommen sehr misstrauisch eingestellt war. Nun strebt Indien jedoch eine Reihe von Freihandelsabkommen an, darunter ein Abkommen mit dem Vereinigten Königreich, das Anfang dieses Monats in die achte Verhandlungsrunde ging, sowie Abkommen mit der EU und dem Golfkooperationsrat.

Es ist zwar nicht davon auszugehen, dass der weitere Ausbau der Beziehungen zu Russland andere Verhandlungen gefährdet, jedoch könnten Spannungen entstehen, wenn sich herausstellt, dass Moskau den erweiterten Zugang zu den indischen Märkten zur Umgehung internationaler Sanktionen nutzt oder Indien als Hintertür zur Einfuhr verbotener Güter dient, wie etwa solche mit doppeltem Verwendungszweck.

Mittlerweile hat sich gezeigt, dass die Versuche nur ein Teil größerer russischer Anstrengungen sind, an andere BRICS-Länder (Brasilien, China, Indien und Südafrika) heranzukommen, was als Versuch gewertet werden könnte, sich einem von den USA und der EU angeführten Welthandelssystem entgegenzustellen. China hat im vergangenen Jahr tatsächlich ein multilaterales Handelsabkommen für den Block in Aussicht gestellt, während der russische Präsident Wladimir Putin von Bemühungen sprach, eine neue BRICS-zentrierte Reservewährung zu entwickeln, die mit dem US-Dollar konkurrieren soll.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat Anfang dieses Monats Brasilien besucht. Der bilaterale Handel der beiden Länder hatte im Jahr 2022 einen Umfang von 9,8 Milliarden US-Dollar. Bei seinem Besuch standen Pläne zur Steigerung der brasilianischen Fleischexporte nach Russland und der Düngemittellieferungen in die andere Richtung auf der Tagesordnung.