Das Brexit-Jahr: Welche Fortschritte macht das Vereinigte Königreich bei neuen Abkommen?

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Wie haben sich die Bemühungen des Vereinigten Königreichs um Freihandelsabkommen und seine Handelsbeziehungen mit der EU in den letzten 12 Monaten entwickelt?


Die letzten 12 Monate könnten die bisher größte Bewährungsprobe für die Handelspolitik des Vereinigten Königreichs nach dem Austritt aus der Europäischen Union (EU) gewesen sein. Während das Land die EU offiziell am 31. Januar 2020 verließ und die Übergangsfrist am 1. Januar 2021 endete, wirkten die anhaltenden Auswirkungen der Corona-Pandemie und die damit verbundenen wirtschaftlichen Folgen wie ein Dämpfer auf den weltweiten Handel, so dass es schwierig war, sich ein klares Bild von den Auswirkungen des Brexit zu machen.

Da sich der Welthandel jedoch im Jahr 2022 von diesen Schocks erholt hat – wenn auch mit einigem Gegenwind, der durch Probleme wie hohe Inflation und den Krieg in der Ukraine verursacht wurde – haben die letzten 12 Monate mehr Aufschluss darüber ermöglicht, inwieweit es sich bei den anfänglichen Problemen um Kinderkrankheiten gehandelt haben könnte und wo etwaige anhaltende Probleme liegen könnten. 

Im letzten Jahr war auch festzustellen, dass das Vereinigte Königreich seine Bemühungen verstärkt, neue Handelsabkommen zu schließen, um diejenigen zu ersetzen, die durch den Brexit verloren gingen. Wie also hat sich der Handel in den letzten 12 Monaten entwickelt und was könnte das Jahr 2023 für die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU bringen?

Fortschritte bei Freihandelsabkommen „langsamer als erwartet“

Ein Bereich, auf den sich die britische Regierung seit dem Austritt aus dem Binnenmarkt besonders konzentriert hat, ist die Unterzeichnung neuer Freihandelsabkommen mit Partnern in aller Welt. Jüngste Zahlen deuten jedoch darauf hin, dass die Fortschritte in diesem Bereich bisher enttäuschend waren.

Die BBC berichtet, dass die Konservative Partei in ihrem Wahlprogramm für 2019 versprochen hat, bis Ende 2022 Abkommen abzuschließen, die 80 Prozent des britischen Handels umfassen. Die neuesten Zahlen deuten jedoch darauf hin, dass die tatsächliche Zahl nur bei 63 Prozent liegen wird.

Eine Quelle im Ministerium für internationalen Handel deutete an, dass das Scheitern eines Abkommens mit den USA einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat. Allerdings hat die Regierung auch das für den 12. November gesetzte Ziel verfehlt, ein Abkommen mit Indien abzuschließen, während die Freihandelsabkommen mit Japan und Australien kritisiert wurden, weil sie die Erwartungen nicht erfüllt haben.

Die Quelle sagte dem Nachrichtenanbieter: „Wir haben uns hohe Ziele gesetzt, sind uns aber bewusst, dass wir ein Abkommen mit den USA benötigen, um dieses Ziel zu erreichen und es ist klar, dass die Biden-Regierung den Verhandlungen über Handelsabkommen mit anderen Ländern keinen Vorrang einräumt.“

Die Ministerin für internationalen Handel, Kemi Badenoch, bestätigte ebenfalls, dass für das Vereinigte Königreich im Hinblick auf den Handel „Verbesserungsbedarf“ bestehe, obwohl sie vor kurzem vor einem Ausschuss des britischen Unterhauses erklärte, dass die vollen Auswirkungen der Handelsvereinbarungen und Freihandelsabkommen nach dem Brexit noch gar nicht abzusehen seien.

Unternehmen warnen, dass das EU-Abkommen „nichts bringt“

Der Handel mit den 27 EU-Mitgliedstaaten erweist sich ebenfalls weiterhin als schwierig. Beispielsweise ergab eine aktuelle Umfrage der britischen Handelskammern (British Chambers of Commerce, BCC), dass 77 Prozent der Unternehmen, die unter das britische Handels- und Kooperationsabkommen (TCA) mit der EU fallen, der Meinung sind, dass das Abkommen ihnen nicht hilft, ihren Umsatz zu steigern oder ihr Geschäft auszubauen.

Es stellte sich auch heraus, dass über die Hälfte der Unternehmen (56 Prozent) Schwierigkeiten haben, sich an die neuen Handelsregeln für Waren anzupassen. Zudem gaben vier von fünf Befragten (80 Prozent) an, dass die Importkosten seit dem Brexit gestiegen sind, während 53 Prozent der Befragten einen Rückgang ihrer Gewinnspannen hinnehmen mussten und fast drei Viertel der Hersteller Engpässe bei Waren und Dienstleistungen erlebten.     

Die Generaldirektorin des BCC, Shevaun Haviland, sagte: „Die Unternehmen haben das Gefühl, mit dem Kopf gegen eine Wand zu rennen, da noch nichts getan wurde, um ihnen zu helfen – und das fast zwei Jahre nach der ersten Vereinbarung über das Handels- und Kooperationsabkommen TCA. Je länger die derzeitigen Probleme unkontrolliert bleiben, desto mehr EU-Händler wandern ab und desto größer wird der Schaden.“

Sie fügte hinzu, dass es eindeutig strukturelle Probleme mit dem TCA gibt, die angegangen werden müssen, bevor das Abkommen im Jahr 2026 zur Überprüfung ansteht.

Gesonderte Daten der Steuerbehörde der britischen Regierung (HMRC) scheinen dies ebenfalls zu belegen. Sie zeigen, dass die Zahl britischer Unternehmen, die als Exporteure eingestuft werden, von 149.443 im Jahr 2020 auf 126.812 im Jahr 2021 zurückging.

Hoffnung auf Fortschritte für Nordirland im Jahr 2023

Trotz der für die Händler düsteren Aussichten besteht Hoffnung, dass einige der größten Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Brexit auf dem Weg einer Lösung sein könnten.

Eine der größten Hürden war das Nordirland-Protokoll, das die Beziehungen des Landes zum Rest des Vereinigten Königreichs und zur EU regelt. Die separaten Handelsregeln für Nordirland haben sich in den letzten Jahren sowohl als politische als auch als wirtschaftliche Herausforderung erwiesen. Dieser Streit war einer der Hauptfaktoren, der die Verhandlungen über verbesserte Handelsvereinbarungen mit der EU verzögert hat.

In einem Telefonat kurz vor Weihnachten versprachen jedoch sowohl der britische Premierminister Rishi Sunak als auch die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, die für beide Seiten annehmbar ist.

Der deutsche Botschafter im Vereinigten Königreich, Miguel Berger, sagte kürzlich, es gäbe zwar noch Herausforderungen, aber die Tatsache, dass die Stimmung in den letzten Monaten positiver geworden sei, stimme ihn „vorsichtig optimistisch“, dass eine Einigung möglich wäre.

Beide Seiten sind sich einig, dass die Kontrollen für Waren, die von Großbritannien nach Nordirland transportiert werden, reduziert werden müssen und die jüngsten Zahlen der britischen Finanzbehörde HMRC könnten dazu beitragen, den Prozess zu ebnen. Der Guardian berichtete, dass 85 Prozent der aus Großbritannien nach Nordirland gebrachten Waren in der Region verbleiben, was die Bedenken in Brüssel über die Auswirkungen des grenzüberschreitenden Handels verringern könnte.